Wer Texte mit Künstlicher Intelligenz erstellt, mit einem Chatbot über tiefe Themen chattet oder sich von ChatGPT coachen lässt, ist oft beeindruckt, wie viel Empathie und Feingefühl in den Antworten steckt. Dabei sollten wir nie vergessen: Es ist kein Mensch, der da schreibt, sondern eine sehr leistungsfähige Maschine, die Empathie simuliert – teils sogar feinfühliger als wir.
Hast du schon mal persönliche Fragen an eine KI gestellt und dich gesehen und wertgeschätzt gefühlt?
KI ist genau darauf optimiert, uns auf einer Ebene abzuholen, die Aufmerksamkeit bindet und Wertschätzung spürbar macht. Das hat neuropsychologische Gründe: Soziale Bestätigung triggert unser Belohnungssystem. Studien zeigen z. B., dass viele Likes in sozialen Medien Aktivität im Nucleus accumbens auslösen – einem Kerngebiet der Belohnungsverarbeitung. Das erzeugt „mehr davon“-Dynamiken. Das “Kuschel-Hormon Oxytocin” wird in populären Texten oft erwähnt; belastbarer ist aktuell die Evidenz rund um Dopamin- und Belohnungskreise.
Führt das dazu, dass wir vor Bildschirmen vereinsamen und uns mit KI über Sorgen austauschen statt mit echten Menschen? Möglich. Zugleich zeigen neue Arbeiten aber auch: Für manche Gruppen können „AI Companions“ gefühlte Einsamkeit messbar reduzieren.
Was uns unterscheidet
Umso wichtiger ist die Rückbesinnung auf das, was uns menschlich macht. Empathie ist ein Teil davon – aber offenbar simulierbar.
Ich denke bei dieser Debatte immer wieder an Walter Benjamins Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ (1935/36). Benjamin beschreibt, wie in der technischen Reproduktion die Aura – die einmalige Präsenz des Originals – erodiert. Im übertragenen Sinne: Wenn wir Kommunikation vollständig von Maschinen generieren lassen, klingt vieles eloquent, scheinbar empathisch und sehr effizient. Doch die Aura fehlt: das Herzliche, gelebte Erfahrung oder auch situative Präsenz. Das lässt sich imitieren, aber für eine künstliche Form nicht “besitzen”.
Wenn KI alles schreibt
Wenn Kundenkommunikation, Social Posts, E-Mails, Blogbeiträge, persönliche Nachrichten oder Meditationen nur noch von KI kommen, steigt zwar unsere Effizienz, aber es fehlt der lebendige Puls. So wie laut Benjamin der Reproduktion die Aura fehlt, lassen diese Texte Herz und Seele vermissen. Denn diese sind nicht bloß Stilmerkmale, sondern Ausdruck echten, gelebten Lebens.
Auch in Büchern merkt man es, wenn sie komplett maschinell entstanden sind: Sie lesen sich oft unglaublich anstrengend, und die Frage der Urheberschaft steht im Raum. Fälle von nicht gekennzeichneten, KI-generierten Büchern gibt es längst, graue Zonen inklusive. Die Debatten um Kennzeichnungspflicht und geistiges Eigentum laufen…
Ersetzt – oder neu erfunden?
Fakt ist mittlerweile: Unsere Fähigkeiten sind in vielen Wissens- und Medienberufen ersetzbar. KI wird ganze Tätigkeitsprofile verschieben oder ersetzen – in einigen Bereichen bereits heute mit höherer Konsistenz, Geschwindigkeit und, ja, auch Qualität. Widerstand ist hier völlig nachvollziehbar und verständlich, aber der Strukturwandel ist da.
Der Coach und Autor Veit Lindau greift das auf: In seinem Programm „UNERSETZBAR“ geht es genau darum, was wir an KI delegieren und wo wir unverwechselbar und damit auch unersetzbar bleiben – inklusive (KI-) Handwerkszeug, Positionierung und Praxisleitlinien. Meine (unbezahlte) Herzens-Empfehlung: UNERSETZBAR
Kognitives Outsourcing: Wenn wir das Denken an Tools abgeben
Ein weiterer Punkt: Wir beginnen, konstruktiv-kritisches Denken auszulagern. Klassische Forschung zeigt, dass leicht verfügbare Information unsere Gedächtnisstrategien verändert: Wir erinnern eher wo etwas steht als was es ist – das „Google-Effekt“-Phänomen. Das ist nicht per se schlecht (transaktives Gedächtnis gibt’s auch bspw. in Teams), aber es verschiebt Übungsfelder für tiefes Denken.
Ähnliches sieht man bei der Navigation: Stützen wir uns stark auf GPS, leidet der Aufbau eigener Raumkarten; das zeigt sich bis in hippocampale Netzwerke und die räumliche Lerngüte. Übertragen heißt das: Was wir regelmäßig an Maschinen auslagern, trainieren wir selbst weniger.
Die Neuroplastizität des Gehirns ist demnach sowohl Segen als auch ein Risiko. Unser Gehirn ist in der Lage, sich auch im Alter immer wieder zu verändern und an unsere Gewohnheiten anzupassen. Das ist einerseits eine wunderbare Nachricht, weil wir in der Lage sind, z.B. dysfunktionale Denkmuster zu verändern. Andererseits kann es in unserem Kontext gravierende Folgen haben: Wir lagern bestimmte Denkbereiche aus, und ungenutzte kognitive Fähigkeiten verkümmern.
Tipp, was du dagegen tun kannst:
- wieder selbst Karten lesen ;)
- Digital Fasting für Schlüsselkompetenzen: z. B. wöchentlich 90 Minuten KI-freie Kontemplation/Schreibzeit; oder monatlich ein „Memory-Workout“ (Fakten, Argumente, Gegenargumente ohne Suche). Das balanciert den "Google-Effekt".
Was mir wichtig ist: Es geht hier nicht darum, ein Feindbild zu pflegen. Aus dem auf diese Weise denkendem Zeitalter sind wir zwar leider noch nicht ganz raus, aber es geht auch anders. Hilfreich ist z.B. Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, Gegensätze zu halten und zu sehen, dass KI uns sowohl unterstützen als auch abstumpfen kann, je nach Rahmen.
Was KI (noch) nicht kann – eine knappe Übersicht
- Herz und Seele im Ausdruck. Wie fühlst du dich mit der Flut KI-erstellter Captions und Skripte? Berühren sie dich auf Seelenebene – oder bleiben sie korrekt, doch leer?
- Geerdete Weisheit. KI verdichtet Informationen und Wahrscheinlichkeiten. Erlebte Weisheit entsteht aus verkörperter Erfahrung: aus Entscheidungen, Konsequenzen und Integrität.
- Kontemplation. Kontemplation ist mehr als Abwägen: Es ist wache, meditative Versenkung. Ohne eigenes Bewusstsein kann KI nicht wirklich kontemplieren. Sie arrangiert Perspektiven, aber sie verweilt nicht.
- Authentische Begegnung. Das spontane Mitschwingen zweier Nervensysteme, Geruch, Mikromimik, Körpertonus, biografische Resonanzen: all das formt Präsenz. KI simuliert Signale, aber nicht die Verankerung im lebendigen Körper.
Wenn draußen alles wankt: Innere Autorität und Halt
Die Eigenschaft der Ambiguitätstoleranz gewinnt im Kontext des uns bevorstehenden Großen Wandels zusätzlich an Bedeutung. Und es stellt sich die Frage: Wenn Systeme und Institutionen im Außen immer instabiler und unsicherer werden, wenn Altbekanntes wegbricht und wenn KI die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwischt, was macht uns dann menschlich und gibt uns Halt? Was bestärkt uns darin, uns unserer Individualität bewusst zu sein und unserer eigenen Wahrheit zu vertrauen?
—> Es ist aus meiner Sicht von großer Bedeutung, dass wir unsere innere Stimme kultivieren (im Human Design Autorität oder Entscheidungsinstanz), somatische Achtsamkeit praktizieren und den Sinn für Resonanz schärfen, sowie echte Begegnungen (im nicht-digitalen Raum) pflegen. Das ist der Grund für meine Arbeit.
Fazit
KI ist großartig als Werkzeug: Sie erhöht unsere Effektivität, kann empathisch wirken, recherchiert blitzschnell und hilft beim Strukturieren. Ich nutze sie selbst, und das gerne. Es kann wirklich Spaß machen, Texte oder Bilder mit KI zu erstellen. Aber sie sollte uns nicht ersetzen, besonders dort, wo Echtheit und Seele zählen. Hilfreiches Werkzeug? Ja. Stellvertreter fürs Menschsein? Nein, danke.
Was denkst du darüber?
Teil mir gern deine Gedanken in den Kommentaren.
Deine Laura
Quellen (Auswahl)
- Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935/36).
- Social-Media-Belohnungssysteme (fMRT, Likes → Reward-Netzwerk). SAGE Journals+1 und Dopamin PMC
- „Google-Effekt“: Wenn Information leicht verfügbar ist, erinnern wir stärker Wo statt Was. Science
- Navigation & Hippocampus / räumliches Lernen unter GPS-Stütze. Wiley Online Library und ScienceDirect
- AI-Companions & Einsamkeit: evidenzbasierte, aber gemischte Befunde. OUP Academic
- Veit Lindau, Programm „Unersetzbar“ (Positionierung im KI-Zeitalter). homodea